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Stadtrundfahrt in Reykjavik

Der Bus zur Stadtrundfahrt anderntags steht pünktlich vor der Tür. Jens Warmers hatte ja gestern schon darauf hingewiesen, dass in Island 9.00 Uhr genau 9.00 Uhr bedeutet und nicht 9.01 Uhr.

Unsere Reiseführerin Tanja beginnt die Rundfahrt mit dem Besuch des Höfdi-Hauses, in dem sich 1986 Ronald Reagan und Michail Gorbatschow trafen und die Entspannungspolitik einleiteten. Es wurde ursprünglich 1909 für den französischen Konsul errichtet und 1958 von der Stadt Reykjavik erworben. Seither dient es als Gästehaus und gilt als Beispiel für die isländische Architektur. Der Glaspalast im Hintergrund zeigt zudem die Spannung Islands zwischen architektonischer Vergangenheit und Moderne auf. Beides trifft man hier auf engem Raum.

Stolz sind die Reykjaviker auch auf ihr inoffizielles Wahrzeichen, die Hallgrímskirkja, eine evangelische Pfarrkirche mit 74,5 Meter hohem Turm an städtebaulich dominanter Stelle oben auf dem Stadthügel. Wir ließen es uns nicht nehmen, mit dem Aufzug auf den Turm zu fahren und den Rundblick über ganz Reykjavik zu genießen. Die Baugeschichte der Kirche aber ist typisch für das Gemüt der Isländer. Geplant wurde die Kirche vom Architekten Guðjón Samúelsson (1887–1950), der am Bauplan ab 1920 arbeitete und den fertigen Plan 1937 zur Genehmigung einreichte. Der Plan wurde genehmigt, der Bau begann 1945. Im Jahr 1948 konnte die Krypta geweiht werden, sprich der Keller. Der Turm wurde 1974 fertiggestellt und 1986 das Kirchenschiff. Schon daran merkt man, dass die Isländer die Ruhe weg haben.

Vor der Kirche steht ein große Bronzestatue, die den anderen Stolz der Isländer darstellt: Leif Eriksson, den Entdecker Amerikas. Die Figur ist ein Geschenk der USA an Island anlässlich der 1000-Jahr-Feier 1930 zur Gründung des Althings, dem isländischen Parlament. Davon wird später noch die Rede sein.

Die kleine Innenstadt von Reykjavik kann man nicht mit dem Bus erkunden, sondern nur zu Fuß. Also stiegen wir aus, oder, wie Tanja stets dazu sagte: „Lass´ ich Sie springen.“ So standen wir bald neben dem modernen Rathaus, in das wir nicht hineingingen. Doch dessen hellgrünes Nachbargebäude stach uns sofort ins Auge. Es hatte drei Kettenglieder an der Fassade und den großen Schriftzug „Odd Fellows“ daran. Dazu eine Bushaltestelle vor dem Eingang. Donnerwetter, dachten wir, das erste Haus am Platz und imposant wie ein nordischer Medici-Palast. Doch auf eine Besichtigung mussten wir noch warten, Tanja drängte zum Weitergehen. Das Parlamentsgebäude von 1881, das Gefängnis („die letzten Insassen ließ man verhungern“), die Bronzestatuen isländischer Größen, alles wurde uns erklärt.

Es wäre zu viel verlangt, hier jede einzelne Sehenswürdigkeit aufzuführen, dazu liest man besser einen Reiseführer. Für uns erstreisende Islandfahrer war es eine interessante Feststellung, dass „die Menschen hier nicht in Iglus wohnen und an den Ampeln keine Hundeschlitten stehen“, wie Tanja selbstironisch bemerkte, sondern in ganz normalen Häusern mit bunten Dächern und Wellblechfassaden wohnen. Die Straßen sind schmäler und lassen nicht wirklich an eine europäische Hauptstadt denken, eher an eine norwegische Provinzmetropole. Umso überraschter ist man, wenn man die „Harpa“, die Philharmonie von Reykjavik sieht. Es ist ein gestylter Glaspalast mit raffinierter Architektur, Lichtreflexen und kubischen Decken. Die Münchner Philharmonie am Gasteig macht sich dagegen aus wie eine biedere Ziegelei. Die Isländer haben einen stylischen Geschmack und den Mut, das zu zeigen. Doch irgendwann fragt man sich unwillkürlich, wie sie das alles bezahlen. Tanja meinte dazu: "Darüber machen sich Isländer keine Gedanken. Ich glaube, sie haben dieses Jahr erst zusammengerechnet, was die Baukosten sind. Gebaut wurde das Gebäude ohnedies von lauter Chinesen."